Depression: Gut oder schlecht?

Bei einer Depression scheint nichts mehr einen Sinn zu ergeben. Schaut man sich das Leben des Betroffenen genauer an, wird die Depression jedoch oft verständlich. Medikamente sind oft nur ein Notstopfen im überlasteten Gesundheitssystem. Was die Betroffenen meistens wirklich brauchen, ist eine heilsame (therapeutische) Beziehung. Sie zu finden, ist oft schwierig, aber die Suche lohnt sich. 

Seelische Qualen können den Hirnstoffwechsel verändern
Wir sind sehr stark abhängig von äußeren Bedingungen – von Beziehungen, von der finanziellen Situation, von unserem Zuhause, der Natur und vielem mehr. Wenn wir einen Unfall sehen, wird es uns vielleicht übel. Allein diese äußere Situation kann unseren Körper komplett auf den Kopf stellen. So ist es auch mit der Depression: Natürlich kann der Hirnstoffwechsel verändert sein. Aber das muss nicht die Ursache der Depression sein.

Gefühle beeinflussen den Körper
Es ist wie mit der Freude: Wer sich freut, hat einen schnellen Herzschlag. Wer aber einen schnellen Herzschlag hat, der freut sich nicht unbedingt. Wer depressiv ist, bei dem erniedrigt sich möglicherweise der Serotonin-Spiegel. Doch der Hirnstoffwechsel kann sich allein durch eine Psychotherapie wieder verändern. Wer depressiv ist, der spürt meisten auch, dass er mehr braucht, als Medikamente: nämlich einen anderen Menschen, mit dessen Hilfe er sich wieder anders fühlen kann.

Von Schlaflosigkeit und Selbstanklagen
Wer an einer Depression leidet, der schläft schlecht. Manche Betroffene wachen früh auf und fühlen sich gleich nach dem Aufwachen depressiv. Andere sind morgens guter Dinge – erst später am Tag macht sich Hoffnungslosigkeit breit. Manche Betroffene nehmen an Gewicht zu, andere ab. Manche plagen sich mit großen Schuldgefühlen, aber auch mit Selbstmordgedanken, über die sie mit niemandem sprechen. Manchmal hat ein äußerer Anlass zu dieser Stimmung geführt, etwa die Trennung von einem Partner oder der Tod eines nahestehenden Menschen. Hier sprach man früher von einer „reaktiven Depression“. Doch auch Erfolge und Glücksmomente wie das Bestehen einer Prüfung oder die Geburt eines Kindes können paradoxerweise zu einer Depression führen.

Fast immer gibt es nachvollziehbare Ursachen für die Depression
Wenn kein äußerlicher Grund für eine Depression erkennbar ist, sprechen manche Ärzte gelegentlich noch von einer „endogenen Depression“. Eine Depression ohne äußere Ursachen ist jedoch äußerst selten und bei den meisten Menschen stecken eben doch lebensgeschichtliche Ereignisse dahinter – auch wenn sie erst nach einiger Zeit in der Therapie ans Licht kommen. Die Suche erfordert viel Mut. Doch dieser Weg führt weiter, als sich mit der veralteten Bezeichnung „endogene Depression“ (= „da kann man außer mit Medikamenten nichts machen“) abzufinden.

Kompensierte Depressionen
Da sind die Mütter, die sich bis zur Erschöpfung für ihre Kinder aufopfern oder Ehefrauen, die nur noch für ihren Mann leben. Da ist der Manager, der sich selbst für sein Unternehmen ausbeutet. Oft erkennen Außenstehende hier gar keine Depression. Diese Menschen waren vielleicht schon immer so. Wenn jedoch in diesem System etwas zusammenbricht, wenn der Mann die Frau verlässt, die Kinder aus dem Haus sind oder die Kündigung auf dem Tisch liegt, brechen diese Menschen zusammen. Die Depression, die vielleicht schon lange da war, bekommt nun Raum.

Verschiedene Arten der Verdrängung
Viele Betroffene sind stets bescheiden und lassen sich oft überfordern. Sie können nur schwer etwas für sich einfordern, obwohl sie unter einem Gefühl des Mangels leiden. Andere Betroffene übertönen ihre Depression mit Aktivismus: schnell machen sie Karriere und arbeiten als Führungskräfte bis zum Umfallen. Am Ende wissen viele gar nicht mehr, was sie selbst eigentlich wirklich wollen, wer sie sind und was sie sich wünschen. Vielleicht haben sie schon als Kind ein falsches Selbst entwickelt.

Ein Leben vorbei am eigenen lebendigen, inneren Kern, führt irgendwann zur Depression.

Körperliche Symptome können eine Depression vertuschen
Nicht immer äußert sich eine Depression offensichtlich in gedrückter Stimmung. Auch wer häufig an Rücken- oder Magenbeschwerden leidet, kann eine Depression haben. Ärzte sprechen hier von einer larvierten (= versteckten) Depression. Damit ein Therapeut die Diagnose „Depression“ wirklich stellen kann, ist er auf das ausführliche Gespräch mit dem Betroffenen angewiesen. Manchmal werden zusätzlich auch Depressions-Tests zur Diagnostik verwendet.

Lieber depressiv als aggressiv
Menschen mit Depressionen haben oft Schwierigkeiten, im richtigen Moment zuzugreifen. Sie geben anderen den Vortritt und tun so, als hätten sie niemals den Wunsch gehabt, sich auch vom Kuchen des Lebens zu nehmen. Schon kleinste Aggressionen kommen ihnen wie ein schweres Verbrechen vor und müssen unterdrückt werden. Doch irgendwo müssen die eigene Aggression und der eigene Wunsch, sich etwas zu nehmen, ja hin. Und so richtet man die Aggression gegen sich selbst und fühlt sich niedergeschmettert.

Die Depression als Teil vieler Nöte
Selten kommt die Depression allein. Meistens gehören noch andere Beschwerden dazu, wie z.B. Ängste, Zwangsgrübeleien oder körperliche Symptome. Die Psyche ist so komplex wie die eigene Lebensgeschichte. Zur Depression gibt es viele Informationen und die Begriffsvielfalt ist unüberschaubar: Da gibt es fachlich die „Major Depression“ oder die „bipolare Depression“ (früher die „manisch-depressive“ Störung), umgangssprachlich die „endogene“ oder „reaktive“ Depression sowie die Depression als Folge des Burnout-Prozesses.

Die Suche nach der Schublade
Viele wollen sich gerne irgendwo einordnen, so wie es oft bei einer körperlichen Diagnose möglich scheint. Doch wer verschiedene Ärzte und Therapeuten aufsucht, erhält häufig verschiedene Diagnosen. Und wer viel liest, wird sich überall irgendwie wiederfinden. Ein guter Psychotherapeut wird sich zusammen mit dem Patienten die vielfältigen Nöte anschauen. Und dann ist es nicht mehr so wichtig, welchen Namen nun die eigene Gefühlslage laut Diagnoseschlüssel trägt: Dann ist man froh über die neue, tragfähige Beziehung zum Therapeuten und über die Hoffnung, die man daraus schöpfen kann.

Ich will nicht enttäuscht werden!
Oft haben Menschen, die zu Depressionen neigen, so große Angst vor einer Enttäuschung, dass sie blind werden für die Chancen, die das Leben bietet. Diese Blindheit für das eigene Glück und die eigenen Möglichkeiten nennen Fachleute „Skotomisierung“ („Skotom“ = „blinder Fleck“). Dadurch kommen die Betroffenen tatsächlich immer wieder erneut zu kurz. Manchmal möchte der Betroffene auch nicht, dass andere ihn beneiden und er verzichtet lieber auf schöne Dinge, auf Erfolg, auf Glück. Das nennt sich dann „Polykrates-Neurose“.

Beziehung ist ohne Enttäuschung nicht möglich.

Alle wollen was von mir
Wer seine eigenen Wünsche nicht wahrnehmen kann, der projiziert sie manchmal nach außen. Dem Betroffenen kommt es so vor, als ob alle Welt etwas von ihm wollte. Er fühlt sich erschöpft und bedürftig: „Jetzt bin ich aber mal dran, jetzt möchte ich, dass die anderen mal etwas für mich tun“, denkt er. Doch die eigene, echte Bedürftigkeit wird als Makel erlebt. Diese Mechanismen sind dem Betroffenen oft nicht bewusst. Daher bedarf es eines Therapeuten, der dem Betroffenen zeigt, dass seine Wünsche, seine Aggressionen, seine Bedürftigkeit und sein Erleben nur allzu menschlich sind.

Heimweh, Kultur und Sprache
Nicht zu vergessen ist auch die Depression, die aus offenem oder verstecktem Heimweh erwachsen ist. Menschen aus den verschiedensten Kulturen treffen hier manchmal auf deutsche Therapeuten, die den kulturellen Hintergrund des Betroffenen nicht im Blick haben. Dabei spielt schon allein die Sprache eine ganz besondere Rolle. Menschen mit Migrationshintergrund können z.B. an Zwangsgrübeleien „auf deutsch“ leiden. Wenn sie sich jedoch in ihre Muttersprache zurückversetzen, geht es ihnen besser. Oft hilft es den Betroffenen, wenn sie Therapeuten finden, die selbst aus einem anderen Land kommen oder sich besonders für kulturelle Unterschiede in der Psychotherapie interessieren.


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